Christoph
Raitmayr

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    • Die Umkehrung des Blickes
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Die Umkehrung des Blickes.
Anmerkungen zu den Arbeiten von Christoph Raitmayr

Günther Dankl

Es gehört bereits zur Tradition des RLB Kunstpreises, dass mit ihm eine Ausstellung im Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum verbunden ist. Hauptpreisträger der Auslobung 2012 ist Christoph Raitmayr. Ihm war bereits 2005 der Förderpreis für zeitgenössische Kunst des Landes Tirol zuerkannt worden.

In seiner Ausstellung im Ferdinandeum zeigt der Künstler unter dem Titel „I see you from my window“ fast ausschließlich 2013, somit aktuell geschaffene Werke. In ihnen bleibt er dem Prinzip der auf niederen Sockeln platzierten Architekturmodelle, die er gemeinsam mit fotografischen oder bildnerischen Reproduktionen sowie Objekten zu bühnenbildartigen Ensembles arrangiert, treu. Sie folgen damit der bereits 2008 in Wien ausgestellten Arbeit „My America“ von 2007 (Werknummer 1) oder der 2012 ausgelobten „Heimatinsel“ (Werknummer 5), in der er neben einem Einfamilienhaus das Modell eines Segelschiffes, ergänzt durch die Reproduktion einer holländischen Stadtszene aus dem 17. Jahrhundert sowie zwei Porträtabbildungen, präsentierte. Raitmayr verleiht seinen Werken fortlaufende Werknummern, darüber hinaus bezeichnet er sie meist lapidar mit „Inseln“. Der Künstler verweist damit zum einen auf ihre räumliche Anordnung in den Ausstellungsräumen des Ferdinandeums, wo sie Inseln gleich direkt am Boden postiert sind. Zum anderen gibt er ihnen damit auch eine inhaltliche Bestimmung und deutet sie als Orte der Wünsche, Phantasien und Sehnsüchte, worauf nicht zuletzt auch die selten gegebenen konkreten Titel, wie z.B. „In Träumen versunken“ (Werknummer 16), verweisen.

Christoph Raitmayr hat sein Studium bei Bruno Gironcoli absolviert. Er ist damit von seiner Ausbildung her Bildhauer. Und als solcher schafft er minimalistische Skulpturen, in denen sich das vordergründig angelegte Modellhafte und die damit verbundene Verniedlichung letztendlich zu einem weitreichenden Geflecht von Assoziationen und Verweisen verdichten. Die Vorbilder für seine Architekturmodelle entnimmt der Künstler einschlägigen Publikationen. Der Bogen der Vorlagen dafür reicht von amerikanischer Kolonialarchitektur bis hin zu Entwürfen für die Werkbundsiedlung Wien 1932 oder dem bekannten niederländischen Architekten und Designer Gerrit Rietveld. Einzeln auf Sockeln aus Karton oder in Gruppen auf farbigen Holzsockeln arrangiert, bringt Raitmayr diese mit aus dem Internet entnommenen Fotografien von Wolken, Wellen, Bäumen, Küsten und Seelandschaften, Reproduktionen von Kunstwerken oder gegenständlichen Accessoires in Beziehung. Raitmayr nimmt damit den Häusern ihre Modellhaftigkeit und Singularität und transformiert sie gleichsam zu Porträts persönlicher wie kollektiver Entwürfe.

Unterstrichen wird diese Porträthaftigkeit vor allem auch durch die Tatsache, dass der Künstler oftmals nur die dem Betrachter zugewandte Schauseite der Modelle mit architektonischen Details, wie Fenstern, Türen oder Balkonen versieht. Er verleiht den Architekturen damit gleichsam Gesichter, die den Betrachter dazu einladen, die Inhalte der beigestellten Accessoires mit dem Innenleben der einzelnen Häuser oder mit der gesamten Ansiedlung in Verbindung zu bringen. Raitmayr kehrt damit den Titel der Ausstellung „I see you from my window“ in sein Gegenteil. Er bietet uns einen Einblick in seine Häuser, legt deren Innenleben frei und bietet Spielraum für persönliche Assoziationen und Vorstellungen. Zugleich schafft er aber auch durch die unterschiedlichen Niveaus der Sockel eine Art Psychogramm einer architektonischen Landschaft, ähnlich der einer Siedlung oder eines Dorfes, die zumeist durch ein sich gegenseitiges Beobachten und argwöhnisches Betrachten gekennzeichnet ist. Persönliches und Individuelles wird damit mit Kollektivem und Allgemeinem verwoben, das „I see you“ mit einem „You see me“ reziprok in Beziehung gebracht. Der in den Arbeiten Raitmayrs zum Ausdruck kommenden Umkehrung des Blickes entspricht der ihnen zugrundeliegende Modellcharakter bzw. die Modellhaftigkeit, die diese auf den ersten Blick wie Teile einer architektonischen Miniaturlandschaft erscheinen lässt. Allerdings entsprechen die von Raitmayr direkt am Boden platzierten Architekturmodelle und -landschaften keineswegs einer gleichsam als Freizeitpark angelegten Minimundus-Anlage. Sie sind keine „Welt im Kleinen“, keine Verkleinerung oder Verniedlichung der Welt, sondern vielmehr eine miniaturhafte und subjektiv gefärbte Darstellung von möglichen Welten. Die Wahrnehmungskategorien von innen und außen, groß und klein verlieren damit bei Raitmayr ihre Gültigkeit und öffnen gerade dadurch auch für den Betrachter neue Seh- und Interpretationsweisen.

Ähnlich stringent wie in den Skulpturen verfährt Raitmayr auch in den Zeichnungen, die er hier erstmals zur Ausstellung bringt. Von mehr oder weniger bekannten architektonischen Vorbildern ausgehend, die er zumeist dem Führer „Österreichische Architektur des 20. Jahrhunderts, Bd. 1: Oberösterreich, Salzburg, Tirol, Vorarlberg“ (Salzburg/Wien 1980) von Friedrich Achleitner entnommen hat, zerstört oder verfremdet er die in präzisen Linien zumeist in verkleinerter Form mittig gesetzten Zitate, setzt neue Architekturteile, wie Treppen oder Balkone dazu oder lässt Hirschgeweihe oder Bäume aus ihnen entwachsen. Hier wie dort belegt der Künstler die Architekturvorbilder mit neuen Inhalten oder öffnet neue Räume und Betrachtungsweisen, gleichsam als ob er diese gerade durch die Verfremdung einer ironisch-kritischen bis stark persönlich aufgeladenen Überprüfung unterziehen möchte. Damit öffnet Raitmayr einen weitreichenden „Assoziationsbogen“ (Carola Kraus), der bekannte Wahrnehmungsmuster ebenso hinterfragt wie neue Interpretationsweisen befragt.

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